1522: Von ausgerissenen Herbstrüben, der Jungfrau Maria, und der Disputation in Zürich: Beginn der Reformation in Fislisbach

Standort: Eingangstür des Dorfmuseums (Mitteldorfstrasse/Buchhaldenstrasse)

 

Der Fislisbacher Priester Urban Wyss führte ab 1520 – noch vor Zürich – die Reformation ein. Dies führte zu Tumult in der Gemeinde: es gab Unterstützer und Gegner. Wyss wurde verhaftet. 1522 wurde er aktenkundig verurteilt und in Konstanz inhaftiert. Die Verhaftung war einer der Auslöser der ersten Zürcher Disputation am 29. Januar 1523, aus der Zwingli als Sieger hervorgeht und in der Folge die Reformation in Zürich einführt.

Disputation in Zürich
Disputation in Zürich

Am 23. Juli 1520 wurde Urban Wyss als Priester nach «Vitzlispach» gewählt, wie vom Magistrat der Spitalverwaltung Baden schriftlich festgehalten wird. Wyss begann schon bald das Wort Gottes auf der Grundlage der Bibel zu predigen. Als unbiblische Lehre verwarf er den Ablasshandel, sowie den priesterlichen Zölibat. In der Diskussion sagte Wyss auch, jeder könne sich im Gebet direkt an Gott wenden. In der Gemeinde stiess seine Lehre sowohl auf Zustimmung, wie auch auf Ablehnung.

Es kam zu Aufruhr: Lärm und Geschrei unterbrachen seine Predigten. Seine Vorräte an Dörrfleisch wurden geplündert, seine Felder zertrampelt, die Herbstrüben ausgerissen. Bewaffnete Reiter stürmten den Pfarrhof und befragten ihn, welche Rolle die Heiligen in den Fürbitten hätten. Wyss erklärte, jeder könne sein Anliegen direkt vor Gott tragen, die Erfüllung sei in der Bibel ja zugesagt. Es sei nicht nötig, dass jemand das Gebetene noch «erkuppele». Diese Wortwahl war ungünstig. Ihm wurde vorgeworfen, die Mutter Gottes als Kupplerin zu beschimpfen. Man wollte ihn auf der Stelle niederstechen. Aufgrund dieses Vorwurfs und des Tumults in der Gemeinde wurde Wyss am 3. November 1522 von der Tagsatzung [1] vorgeladen. Seine Argumente wurden nicht anerkannt, obwohl Wyss von mehreren Geistlichen (unter anderem dem Hofkaplan von Einsiedeln) unterstützt wurde.

Was dann passierte, ist für die damalige Zeit äusserst bemerkenswert: Seine Gemeinde brachte am 4. November 1522 die sehr hohe Summe von 100 Gulden als Bürgschaft auf, damit Wyss freigelassen wurde. Zudem schrieb die Gemeinde ein Unterstützungsschreiben an den Landvogt. Die Gemeinde schrieb, sie hätten Wyss beauftragt, in der Predigt «das luter Gotz wordt on alle menschliche leer und fürgebi und das in der Gestalt, dass er mit der Geschrift red mögy dathun» [2]. Die Gemeinde bittet den Landvogt um Erlaubnis in dieser neuen Form Gottesdienst feiern zu dürfen und von der vorgegebenen katholischen Liturgie abweichen zu dürfen. Wegen der Verfolgung, wolle Wyss das nämlich vorerst nicht mehr tun. Die Kirchgemeinde handelt hier sehr selbstbewusst. Sie übernimmt selbst die Leitung und die Verantwortung für die Inhalte der Gottesdienste. Sie gibt dem Priester vor, was er zu predigen hat (das reine Wort Gottes) und welche Richtlinien dafür gelten (Belegbarkeit mit Bibelstellen). Die Gemeinde übernimmt damit eine Aufgabe, die bisher dem Bischof zukam. Sie widersetzt sich den bischöflichen Machtansprüchen und stellt sich schützend vor ihren Priester, um ihn vor einer Verhaftung zu bewahren.

Trotzdem wurde Urban Wyss an der nächsten Sitzung der Tagsatzung (24. November 1522) aktenkundig verurteilt, verhaftet und als Ketzer dem Bischof von Konstanz ausgeliefert. Ihm drohte der Scheiterhaufen. In Gesprächen drängte ihn Generalvikar Johannes Fabri, sich wieder zur katholischen Lehre und Liturgie zu bekennen.

Während Urban Wyss in Konstanz in Haft sass, beeinflusste er dennoch die Schweizer Reformationsgeschichte massgeblich: Im Jahr 1522 hatte Zwingli, der seit 1519 Priester am Grossmünster in Zürich war, seine ersten Schriften veröffentlicht. Er forderte, die christliche Lehre solle allein auf der Heiligen Schrift beruhen. Auch in Zürich verursachte dies grossen Aufruhr. Zwingli wurde Ketzerei vorgeworfen. Der Grosse Rat lud daher alle Theologen am 29. Januar 1523 zu einer Disputation nach Zürich ein. 600 Personen nahmen teil, unter ihnen auch Generalvikar Johannes Fabri als Abgeordneter des Bischofs von Konstanz. Die Disputation verlief zu Beginn sehr schleppend, da Generalvikar Fabri sich auf keine Diskussion einlassen und nur als Berichterstatter passiv zuhören wollte. Wenn er keine Argumente hätte, so sei die Verhaftung von Urban Wyss unrecht, sagte Zwingli zu ihm. Dazu konnte Generalvikar Fabri nicht schweigen, da er für die Haft von Wyss zuständig war. Er entgegnete, Wyss sei ein unwissender, der Heiligen Schrift unkundiger, einfältiger Mensch. Er (Fabri) habe Wyss in der Schrift unterwiesen, um ihn von seinem Irrtum abzubringen, sodass Wyss nun bereit wäre zu widerrufen. Diese Aussage war geradezu eine Steilvorlage für Zwingli – und Zwingli lässt sich diese Chance auch nicht entgehen. Er fordert den Generalvikar auf, ihm diese Bibelstellen zu zeigen. So nimmt die Disputation endlich Fahrt auf. Eine theologische Diskussion über Zölibat und Tradition entspinnt sich, die erst nach fünf Stunden endet. Der Bürgermeister stellt fest, die Argumente von Generalvikar Fabri seien ungenügend, um Wyss und Zwingli zu widerlegen: «Das schwärt, damit der pfarrer von Fyslispach erstochen ist, will nit harfür.» [3] Der Rat der Stadt Zürich erklärt Zwingli zum Sieger. Zwingli darf fortan das Evangelium in der neuen Form gemäss der Heiligen Schrift verkünden.

Der Fislisbacher Priester Urban Wyss schrieb so Reformationsgeschichte, obwohl er in Haft seine Lehre schriftlich widerrief: Nach dem Widerruf wird im Februar 1523 seine Haft gelockert. In Halbgefangenschaft auf dem Bischofssitz Schloss Gottlieben (TG) stand Wyss im Briefwechsel mit Zwingli. Zwingli schrieb ihm zweimal und ermunterte ihn, bei seiner Lehre zu bleiben: «Also sei standhaft! Was Du als wahr glaubst, dabei bleibe stets in deinem Bekenntnis bis zum Tode. Denn wer ausharret bis ans Ende, der wird selig.» Wyss schreibt dennoch: «Dann bin ich verfüert worden, wil aber fürtterhin myn Leben bessern und allein Gott, Maria seiner lieben Mutter und den lieben auserwehlten Heyligen anhangen.» [4] Nachdem er eidlich gelobt hatte, das Bistum Konstanz zu verlassen, wird Wyss aus der Haft entlassen.

Nach der Freilassung bleibt Wyss dennoch zuerst in Winterthur und arbeitet später als Pfarrer in Eglisau (1537-1544) und in Rafz (1545-1554). Und: Er predigt wieder nach reformierter Lehre gemäss der Heiligen Schrift.

Fussnoten/Quellen:
[1] Tagsatzung hiessen bis 1848 die Versammlungen, an denen bevollmächtigte Boten der eidgenössischen Orte gemeinsame Geschäfte berieten.
[2] «das reine Wort Gottes ohne menschliche Lehre und Zusätze und zwar in der Gestalt mit der die Heilige Schrift redet, darzulegen.»
[3] «Das Schwert, mit dem der Pfarrer von Fislisbach erstochen wurde, eignet sich nicht dafür.» Damit drückt der Bürgermeister aus, dass die Argumente für eine Verurteilung von Urban Wyss ungeeignet sind.
[4] «Denn ich bin verführt worden, will aber zukünftig mein Leben bessern und allein Gott, Maria (seiner lieben Mutter) und den lieben, auserwählten Heiligen anhängen.»